Am vergangenen Wochenende feierte in Leipzig wie angekündigt die Radale Premiere. Unter dem Titel „Es wird Fahrrad gefahren“ handelte es sich dabei nicht nur um eine Fahrveranstaltung, viel mehr wurde mit Film, Sound und guter Verpflegung auch Wert auf das gelegt, was man gemeinhin „Drumherum“ nennt und gleichzeitig mit diesem Begriff oft unterschätzt. Denn Geschichten tauscht man erst aus, wenn man wieder atmen kann und der Körper mit allerlei Verlangtem benachschubt wurde. Die Radale wurde veranstaltet von einer Gruppe von Leuten, die auch schon bei Critical Dirt am Start waren oder im letzten Jahr gemeinsam mit uns die Fahrt von Dresden nach Leipzig organisiert oder gefilmt hatten. Man traf sich am Freitag Abend am Conne Island in Leipzigs Süden und wir können bezeugen, dass die Lichter vor dem Eiskeller erst nach 1 Uhr ausgeschaltet wurden, nachdem wir unsere letzte Bierrunde bestellt hatten.

Als klein und fein angekündigt war der Samstag als Dreh- und Angelpunkt sehr gut besucht. Denn 73 Fahrer und rekordverdächtige 20 Fahrerinnen hatten sich im Garten des Conne Island eingefunden und empfingen ihre Startpakete. Eine Rundstrecke um die Stadt, die in großen Teilen dem Inneren Grünen Ring folgte, sollte mithilfe von zwei Karten befahren werden, wobei vier Eisenbahnhaltepunkte als Checkpoints dienten. Björn und ich als Critical Dirt Abordnung hatten GPS und Kartenbrett auf unseren Vorbauten montiert und der berüchtigte Effekt invertierter Tiefstapelei sollte sich schon bald nach dem Startsignal einstellen: Mit wenig Schlaf im Körper hatten wir uns schon im Vorhinein versichert, es langsam angehen lassen zu wollen, kein Stress, man ist ja zum Genießen hier und so weiter… Kaum 500 Meter waren jedoch gerollt und wir zogen unser Tempo nach oben. Da wir die Wege hier recht gut kennen hatten wir außerdem einen nicht zu unterschätzenden Navigationsvorteil gegenüber Auswärtigen und fanden uns somit spätestens ab der Knauthainer Schranke an der Spitze des Feldes wieder. Also doch und eben erst recht: Sportmodus.


Und dann stellte sich so langsam heraus, dass die diesjährige Friedensfahrt, die konstanten Etappenbefahrungen und diverse andere durchfahrene Wochenenden ihre Spuren in unseren Beinen hinterlassen hatten: Wir waren schnell! Durch die westlichen Vororte und die Ausläufer das Auenwaldes fuhren wir ungefähr im Dutzend, schwenkten nördlich des Auensees in Richtung Nordost und folgten den Gleisanlagen des Güterrings, um über die Messeallee am Verpflegungspunkt anzukommen. Das Essensmobil war noch nicht vor Ort, was das Gefühl hoher Geschwindigkeit natürlich noch weiter in Richtung breites Grinsen verstärkte und unsere verspätete Teamautoankunft nach der 1. Etappe von Critical Dirt 2010 in Erinnerung rief. Bald aber tauchten Josch und Co. auf und breiteten ihr Buffet aus, während wir im Schatten sitzend die nachfolgenden Gruppen begrüßten.

Belegte Brötchen, Bananen, Joghurt, Kaffee und Radler sorgten dann für leckeren Nachschub unter malerischem Himmel. Steffen, den wir unterwegs mit einem lauten Schlauchplatzer auf Schotter verloren hatten, zog gleich zweimal einen neuen Schlauch auf sein Rennhinterrad – ja, das geht! – und wir setzten uns gestärkt wieder in Bewegung. Auf weitere Gemütlichkeitsbekundungen verzichteten wir und wollten es wissen, meine Beine wussten es schon. Da sich der Charakter der Strecke von Forst- und Wiesenwegen zu flachem Asphalt geändert hatte und der Wind auffrischte, wurde der zweite Abschnitt zu einer Art Gewaltritt. Fünf Ottertrikots fanden sich in der Spitzengruppe, wobei zumindest meines und jenes von Felix mit fortschreitender Fahrtdauer immer mal wieder nach hinten ausgespuckt wurden, um mit letzter Kraft doch noch Anschluss halten zu können. Björn „ich bin nicht mehr fit aber hatte vor fünf Jahren mal 25.000 Trainingskilometer pro Saison“ drückte stoisch auf seinem Fully mit, während ich mich an Telefonate der letzten Wochen erinnerte, in denen mir fast mahnend der Besuch der Krampfzone (nur unscharf abgegrenzt von der berüchtigten Kotzgrenze) angeraten wurde. Ich hielt mich dran und wurde dort fast heimisch. Leider hängen die Decken da sehr tief, Stroboskope flackern und Pulsschläge wummern während man in panischer Ruhe mit dicken Wurstfingern versucht, mit einer Stecknadel in die Öffnung einer Schaltzugendkappe zu treffen, die in zwanzig Metern Entfernung auf einer Weihnachtspyramide ihre Runden dreht. So erkläre ich mir jedenfalls, dass ich auf Etappe II lediglich ein hastiges Bild geschossen habe und nahm auch die Verlängerungsetappe für die Führungsgruppe, die uns an Markkleeberger und Cospudener See vorbeiführte, noch in Kauf. Spätestens am Stempelpunkt Bistumshöhe entschloss sich Steffen jedoch zum Verlassen seiner Komfortzone und peilte folgerichtig den Tagessieg an, was Mike, Felix und mich mit einem Wimpernschlag und schweißbrennenden Augen auf dem aufgeschütteten Hügel zurückliess. Björn erbarmte sich und wartete mit uns, in immer noch zügigem Tempo rollten wir dann wieder Richtung Eiskeller. Dort waren neben unseren ehemaligen Mitfahrern schon einige, die nicht auf die lange Runde geschickt worden waren, eingetroffen und wir reihten uns nach Abgabe unserer Stempelkarten in die Schlange ein, die am ertzui°fotostand endete. Als die Bilder von uns mit Rad geschossen waren, fluteten wir unsere Körper mit Rauch und Flüssigkeiten und sahen den Platz sich füllen.

Die Siegerehrung folgte in guter Tradition dem Muster, das uns sympathischerweise von vielen Veranstaltungen bekannt ist und dem auch wir gerecht werden wollen: Schnelligkeit wird natürlich belohnt; Style, Mut, Sympathie und lange Anreise jedoch mindestens genauso gern. So erfuhren wir dann auch, dass Menschen aus Cuxhaven gekommen waren und sich ein schwangeres Pärchen die Strecke teilte, dass man auch im Anzug fahren kann und dass schicke Diamant-Räder weiterhin hoch im Kurs stehen. Losglück wurde danach Björn zuteil, dessen Startnummer einem blinkenden Specialized Langster Rahmenset zugelost wurde. Währenddessen sackte aber auch die Müdigkeit nicht nur in die Beine, das abermals leckere Abendbuffet konnte dem im Verbund mit weiteren Einheiten tiefbraunen Bohnentrunks teilweise entgegenwirken. Mit dem Gefühl zurückliegender Anstrengung wurden dann – mit schweren Beinen nicht bloß graue Theorie – die Brevet-Vorhaben und –Erlebnisse einiger Anwesender diskutiert und man wurde sich mal wieder klar darüber, dass irgendwo da draußen subtil die Grenze zum Wahnsinn ausgelegt ist. Was natürlich nicht bedeuten soll, dass man nicht allzu gern auch mal von dieser magischen Linie probieren würde. Mit meinen Gästen Stijn und Michiyo zog ich mich bei einbrechender Dunkelheit dann auf den heimischen Balkon zurück und opferte den Sonntag mit Brunch und weiterer Ausfahrt dem nicht-fahrrad-sozialen Leben, auch dies ein Effekt der zurückliegenden durchfahrenen Wochenenden.

Die Radale hat Spaß gemacht und dass es von heftiger Drückerei bis zur Teilnahme mit Anzug oder Schwangerschaftsbauch ein breit gestreutes Feld möglicher Bewegungsarten gab beweist, dass der Leitspruch „Es wird Fahrrad gefahren“ bestens gewählt war. Der abwechslungsreiche Rundstreckenkurs in Kombination mit bewährter Publikumsumsorgung und eine entspannt bespielbare Homebase haben das Event zu einem sportlich-relaxten Wochenende für uns gemacht, dass uns erfreulicherweise die Möglichkeit bot, auf ähnlichem Geläuf wie dem von uns bespielten sich einfach nur auf’s Fahren zu konzentrieren. Auf’s Mitfahren und Anziehen und Hinterherhecheln und Navigieren und den ganzen Rest. Viele Grüße also an die Radale-Crew, wir sind gespannt wie’s weitergeht und freuen uns auf ein Bier mit euch.